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Sergio Amancio: "Forschung ist meine Leidenschaft"

Sergio de Traglia Amancio Filho

Sergio de Traglia Amancio Filho

Illustration: Luca Candotti, Foto: privat

Sergio de Traglia Amancio Filho - der für deutsche Ohren fremd klingende Name weist darauf hin: Der Werkstoffingenieur ist gebürtiger Brasilianer.

Am Helmholtz-Zentrum Hereon (Hereon) erforscht der Juniorprofessor und Leiter einer Helmholtz-Hochschul-Nachwuchsgruppe Fügetechniken für Metall-Kunststoffverbindungen. Beispielsweise um künftig noch leichtere Flugzeuge oder Autos herstellen zu können. Für seine Forschung in einer weltweit führenden Einrichtung auf dem Gebiet des Rührreibschweißens kehrte der 38-Jährige seiner Heimat 2001 den Rücken. Gemeinsam mit seiner Frau Gisele Amancio, die ebenfalls im Hereon beschäftigt ist, wagte er einen Neuanfang in Geesthacht.

Juniorprofessor Sergio Amancio läuft die letzten Schritte zum Gebäude 31, wo die Hereon-Fügespezialisten untergebracht sind. Er schaut in den Himmel, der grau und verhangen ist: „Ja, das war eine riesige Umstellung für uns“, sagt er offen heraus. „Vor allem der Mangel an Sonnenlicht macht uns sehr zu schaffen“, ergänzt er und deutet auf seine Arme, die leicht gebräunt aus dem Polo-Shirt schauen. „Vorher war ich bestimmt drei Töne dunkler. Ich bin eigentlich ein Sommermensch.“

Von dem Gebäude führt eine Seitentür über einen gepflasterten Weg zu einer Stahlhalle. Insgesamt 300 Quadratmeter misst sie. In der erst Ende des vergangenen Jahres eingeweihten Halle stehen moderne Forschungsanlagen, mit denen die Hereon-Wissenschaftler Fügeverfahren weiterentwickeln oder neue Ideen umsetzen und testen. So wie Sergio Amancio, der bereits im Rahmen seiner Doktorarbeit 2007 sein erstes Patent für das so genannte Reibnieten – einer seinerzeit unbekannten Fügemethode – anmeldete. Dies brachte dem jungen Materialforscher auf einen Schlag Auszeichnungen und Preise ein und die weltweite Anerkennung in der Fachbranche:

„An die Idee haben wir von Anfang an geglaubt, aber man rechnet nicht damit, dass eine Selbstentwicklung so schnell zu einem Patent führen kann“,

kommentiert Amancio den Start seiner wissenschaftlichen Karriere.

Es folgten das Reibpunktfügen, eine Idee des Brasilianers kurze Zeit später, und eine Reihe weiterer Entwicklungen. Die meisten sind mittlerweile patentiert oder befinden sich im Prozess der Anmeldung. Damit beläuft sich die Zahl seiner Patente derzeit auf 21. „Ich habe ein bisschen ein Händchen für neue Ideen“, sucht Amancio, der Daniel Düsentrieb der Abteilung Festphase-Fügeprozesse, nach einer Erklärung. Vor dem Hintergrund des Geleisteten klingt dies betont bescheiden. Vielleicht lässt sich diese Bescheidenheit mit seiner persönlichen Lebenseinstellung erklären:

„Ich wusste zwar immer, dass ich Wissenschaftler werden wollte. Aber ansonsten war vieles Zufall."

Der Weg nach Geesthacht, die Preise und Karrieresprünge: „Das habe ich so alles nicht geplant." Amancio sieht es eher als eine Verkettung glücklicher Fügungen, die ihn bis zur Position des Juniorprofessors geführt haben. „Es ist kein Extra-Ehrgeiz", versichert er, "Forschung ist einfach meine Leidenschaft und hier in Geesthacht kann ich fast zu hundert Prozent meine Ideen verwirklichen."

Dafür nahmen er und seine Frau Gisele Amancio, als sie vor rund 13 Jahren nach Deutschland kamen, eine ganze Reihe von Veränderungen in Kauf. So war der Standortwechsel mit einigen Einschnitten verbunden. „Im Ballungsgebiet Sao Paulo leben über 21 Millionen Einwohner", schildert Amancio, „Hamburg ist für uns deshalb eher eine mittelgroße Stadt". Und der Kreis Herzogtum-Lauenburg, wo das Ehepaar arbeitet und lebt, wie hat sich dieser Wechsel angefühlt? Vom verrückten Verkehr zur Tempo-30-Zone, von der hohen Kriminalität zur Sicherheit, von den urbanen Menschenmassen zur landschaftlichen Weite. „Was die Geschwindigkeit angeht, war es für uns erst einmal ein Gefühl von 100 auf 0", gibt der 38-Jährige seinen anfänglichen Eindruck wieder.

Mittlerweile haben sich die beiden in ihrer Wahlheimat eingerichtet und leben in einem Wohnhaus in der Gemeinde Börnsen. „Wir haben uns gut eingelebt", so Amancio. In ihrer Freizeit besuchen sie gerne das Kino, sind draußen aktiv oder gehen Essen. Sergio Amancio spielt außerdem wöchentlich Basketball in der Hereon-Gruppe. Ein wichtiger Anker in ihrem Leben ist ihre Kirchengemeinde, wo der 38-Jährige Geige und Cello spielt:

„Das ist eine große Unterstützung für uns. Der Glaube an Gott hat miener Frau und mir sehr geholfen, in Deutschland unseren zentralen Lebenspunkt zu setzen."

Amtliches Zeichen, dass die Amancios hier sesshaft geworden sind: Seit 2012 besitzt das brasilianische Ehepaar die deutsche Staatsbürgerschaft.


Autorin: Vanessa Barth
Porträt aus der in2science #1 (Dezember 2014)